Ira und Paulina: Brieffreundinnen

von Daniela Chimienti

Drittes Millenium. Digitales Zeitalter. Alles geht schnell: E-Mail, Chat, Social Media. Doch der Charme eines gestempelten Briefs, handgeschrieben, aufgegeben und zu Hause zugestellt, scheint zeitlos. 

Genau so haben Ira und Paulina sich kennengelernt: durch das Projekt “Bunte Briefe” unseres Vereins Leb Bunt e.V. 

Eines Tages las Ira einen Artikel in einer Zeitschrift, der von dieser Initiative erzählte, die ältere und junge Menschen durch den Austausch von Briefen verbindet. Paulina erfuhr dagegen von einer Schülerin in ihrer Yogaklasse von dem Projekt. Jetzt ist Ira zwar nicht gerade alt, aber sie hatte das Gefühl, dass die Teilnahme an dem Projekt einem Ausländer / einer Ausländerin helfen würde, der / die mit der deutschen Sprache zu kämpfen hat. Diesen Wunsch teilen viele Einwander:innen, wie auch Paulina, die kürzlich nach Deutschland gezogen war. 

Ihre Profile ließen auf eine gute zwischenmenschliche Basis schließen: gemeinsame Interessen, Offenheit für Neues, die Fähigkeit, sich anderen zu öffnen, der Wunsch, sinnvolle und nachhaltige Beziehungen zu knüpfen. Alles, was es brauchte, war ein Willkommensbrief (frankierte Briefumschläge, Briefmarken, Papier, u.a.), ein Name, eine Adresse und diese schöne Brieffreundschaft konnte beginnen. 

Lesen wir, was die beiden uns gesagt haben. 

Erzähl uns etwas über dich und über deine Brieffreundin! 

Ira: Ich bin Ira, 56 Jahre alt, habe zwei erwachsene Töchter. Mein Mann und ich leben in Kleinmachnow bei Berlin. Vier Tage die Woche arbeite ich als Projektmanagerin in einer Kommunikationsagentur. 

Paulina kommt ursprünglich aus Polen, ist aber in England aufgewachsen und seit ein paar Jahren in München mit ihrem Partner. Das heisst sie lernt nun ihre dritte Sprache. 

Paulina ist eine sensible Frau, eine gute Schreiberin und aufmerksame Leserin. Sie gibt sich wahnsinnig viel Mühe und ich finde ihre Sprachkompetenz sensationell. 

Immer bezieht sie sich in ihren Briefen auf meine Inhalte, berichtet aber auch viel von sich. 

Paulina: Ich bin Paulina, 25 Jahre alt, Yogalehrerin und Teilzeit-Barista in München, aber mein beruflicher Hintergrund liegt auch ein wenig im Projektmanagement und im Strategiemanagement. 

Ira ist sensibel und sehr einfühlsam. Ich habe das Gefühl, dass sie mich sehr gut versteht, weit über die Sprache hinaus, aber auch uns als Menschen im Gespräch. Sie ist offen über sich selbst, was mir hilft, auch offener über mich zu sein.  

Welche Gemeinsamkeiten habt ihr? 

Ira: Paulina und ich haben beide junge Hündinnen: ihr Bordercollie heisst Yuki und meine Mischlingshündin heisst Poppy. Ich mache seit vielen Jahren Yoga, Paulina ist Yogalehrerin. Vermutlich sind wir beide ähnlich sensibel und reizoffen. Wir denken beide viel nach und reflektieren das Weltgeschehen und das Miteinander. 

Paulina: Eine ganze Menge! Wir lieben beide die Natur, Spaziergänge, den Frieden und die Stille. Wir glauben beide an eine ganzheitliche Heilung für Körper, Geist und Seele. Manchmal berühren uns die Themen der Welt zu sehr, deshalb versuchen wir beide, uns ihnen nicht zu sehr auszusetzen.  

Sind deiner Meinung nach ähnliche Interessen wichtig, um eine Brieffreundschaft zu beginnen? 

Ira: Nein, ähnliche Interessen erleichtern es aber, ins Gespräch zu kommen. Aber allein durch den Altersunterschied blicken wir auf unterschiedliche Erfahrungen und Zeiten zurück, die viel Gesprächsstoff bieten. 

Paulina: Für mich auf jeden Fall, ja. Das gleiche Interesse zu haben, hilft uns, tiefer in bestimmte Themen einzutauchen und auch unsere eigenen Erfahrungen zu teilen. So können wir uns wirklich dafür interessieren, was wir beide zu den Themen zu sagen haben. 

Warum magst du dieses Projekt? 

Ira: Ich interessiere mich für Menschen und deren Geschichten, Biografien, große und kleine Herausforderungen, das Leben schlechthin. 

Zudem lese ich gern. Beziehe mich auf Gesagtes, gehe in den Dialog und Austausch. Dass dadurch Zugewanderte noch ihre Sprachkenntnisse verbessern, finde ich großartig. 

Ich war sehr angenehm überrascht, wie gut wir Brieffreundinnen zueinander passen, dass wir trotz Altersunterschied gemeinsame Interessen und Ansichten teilen. 

Paulina: Die Möglichkeit, mit einer anderen Person in tiefen Kontakt zu kommen. 

Wie fühlst du dich, wenn du einen Brief von deiner Brieffreundin bekommst? 

Ira: Schon wenn ich den Umschlag in der Post finde freue ich mich auf Neuigkeiten und Antworten von Paulina. Es ist immer ein aufregendes Gefühl: die Vorfreude darauf und die Spannung beim Lesen. 

Paulina: Ich bin so unglaublich dankbar!  

Heutzutage gibt es E-Mails, soziale Netzwerke und Chats. Was ist an einem Brief anders? 

Ira: Briefe per Post einen besonderen Moment haben: sie sind nicht so flüchtig, Worte werden bedachter gewählt, Inhalte können mal auch elaboriert dargestellt werden. Der Schreibstil ist zudem ein anderer. Und die Freude auf eine Antwort wärt länger und intensiver. Obwohl ich mittlerweile Paulinas Telefonnummer habe, würde ich nie auf die Idee kommen, Briefe durch Anrufe zu ersetzen. Ich liebe auch das haptische Erlebnis, Papier in der Hand zu haben, einen Umschlag zu öffnen. Welche Briefmarke klebt auf dem Umschlag? Wie lang ist der Brief? Sind Fotos eingebettet? Handschrift oder am Computer geschrieben und ausgedruckt… 

Paulina: Alles. Die Zeit und der Aufwand, die nötig sind, um einen Brief zu schreiben und zu verschicken, sind so anders als eine schnelle Nachricht oder eine E-Mail. Das verändert auch die Energie für das Gespräch. Zu wissen, dass jemand bereit ist, sich die Zeit und Mühe zu nehmen, sich wirklich hinzusetzen und dir zu antworten, macht es so herzerwärmend. 

Was würdest du zu jemandem sagen, der gegenüber diesem Projekt skeptisch ist? 

Ira: Ich finde den Kontakt mit Menschen, die ich in meinem bekannten Umfeld nicht kennenlernen würde so bereichernd für mein Leben. Und wenn ich quasi nebenbei helfen kann, dass Paulina ihre deutsche Sprache verbessert, ist das eine bedeutende Win-Win-Situation. Probiere es einfach mal aus, um zu entdecken, was es für Dich persönlich bringen kann. Sei offen und lass Dich überraschen. 

Paulina: Du kannst es immer ausprobieren und sehen, wenn es nichts für dich ist, musst du nicht weitermachen. Aber ich weiß insgeheim, dass du es lieben wirst, wenn du weißt, dass auf der anderen Seite des Briefes ein echter Mensch steht! 

Wie war euer erstes persönliches Treffen? Wo hat es stattgefunden? 

Ira: Wir haben uns in Berlin getroffen. An einem leider regnerischen Tag sind wir am Grunewaldsee mit Poppy spazieren gegangen. 

Es war ein lockeres und leichtes Treffen. Die persönliche Begegnung auslöst dann doch noch einmal andere Gefühle. Jetzt freue ich mich sehr, Paulina live erlebt zu haben, da dies noch eine tiefere Beziehung entstehen lässt. Ich habe noch andere und neue Aspekte ihres Lebens erfahren, was sie bewegt, wie sie spricht, aussieht, sich bewegt. So können wir beide noch einmal anders im Schreiben anknüpfen. 

Paulina: Ich war vor dem Treffen ein wenig besorgt, da ich beim Schreiben auf Deutsch viel mehr Zeit brauche, um zu überlegen, was und wie ich etwas sage, und es war mir ein wenig unheimlich, in einem gesprochenen Gespräch so offen und verletzlich zu sein. Aber ich habe es geschafft! Und bei Ira fühlte ich mich so wohl, dass ich mich in keiner Weise beurteilt oder analysiert fühlte. Ich habe das Gefühl, dass unsere Briefe jetzt, wo wir uns persönlich kennengelernt haben, noch tiefer werden und eine engere Verbindung entstehen kann. 

Ihr nächstes Treffen haben Ira und Paulina zwar noch nicht geplant, aber wer weiß, ob es nicht auch in München passieren wird. Unterdessen geht ihre schöne Freundschaft Brief für Brief weiter.  

Möchtest du auch eine Brieffreundschaft? Schreibe uns gerne an: buntebriefe@leb-bunt.org oder melde dich direkt an unter folgendem Link: https://leb-bunt.org/bunte-briefe/